Vorsicht! Ein langer Text!
Ihr Lieben!
Wir möchten von anderen betroffenen Eltern ein Meinungsbild zum aktuell zur Diskussion stehenden Verschluss von Hannahs Tracheostoma einholen. Nach ausführlichen und sehr differenzierten Beratungen mit den behandelnden Ärzten des „Lufthafens“ sind wir immer noch nicht zu einem endgültigem Entschluss gekommen. Vielleicht helft Ihr uns beim Denken?
Beim Abwägen der Vor- und Nachteile kommen einerseits Aspekte von Hannahs (Er-)Leben, aber auch die belastete Familiensituation zum Ausdruck – Dinge, die schwer gegeneinander aufzurechnen sind...
Vorab wichtiges Grundwissen:
Hannah ( *2007 ) ist an einer fortschreitenden Energiestoffwechselstörung erkrankt ( Mitochondriopathie / Morbus Leigh ), die u.a. 2009 Stammhirnschäden verursacht hat mit der Folge, dass u.a. die nächtliche Atmung, der Hustenreflex und das Schlucken pathologisch verändert waren. Damals wurden Tracheostoma und PEG angelegt. Diese Probleme haben sich im Laufe der Jahre zu unserem großen Glück gut regeneriert, nur Verschlucken ( v.a. bei Ablenkung / Träumerei beim Essen ) kommt immer mal wieder vor (=„aufsichtspflichtige Dysphagie“ ). Seit 4/2012 lebt Hannah problemlos mit abgeklebtem Tracheostoma ( Epithese ).
Der weitere Krankheitsverlauf wird voraussichtlich gekennzeichnet sein von weiteren ( hoffentlich wenigen und nur milden) Krisen mit neurologischen Ausfällen unvorhersagbarer Art, die sich zumindest teilweise wieder langsam regenerieren können, aber kumulierend bleibende Einschränkungen hinterlassen. Die Prognose ist daher leider lebenslimitierend. Bei der letzten Krise entwickelten sich hauptsächlich motorische Defizite und die Schluckproblematik trat vorübergehend etwas mehr in den Vordergrund.
Hannah benötigt Fußorthesen, Nachtlagerungsschienen, Rolli, Therapiestuhl, Talker, Pulsoxy im Schlaf und eine Brille. Sie kann kurze Strecken laufen, ist dabei aber nicht ausdauernd und ist je nach Tagesform zeitweilig stark sturzgefährdet, so dass sie einen Rolli braucht. Beim Sitzen fehlt oft die Rumpfstabilität, auch feinmotorisch gibt es gravierende Defizite. Die Reaktionsfähigkeit ist stark verlangsamt. Ihre Sprache ist nur schwer verständlich, die geistige Entwicklung nicht alters- gerecht ( sie kann aber schon recht sicher ihren Namen schreiben und Mengen bis 10 zuordnen ). Hannah geht mit PD-Begleitung in den Sprachheilkindergarten. Weil sie sehr schlecht verstanden wird und in allem langsam ist, hat sie kaum Freunde und ist sehr auf Erwachsene bezogen. Nachts braucht Hannah noch eine Windel und tagsüber Hilfestellung beim Toilettengang ( so wie bei fast allen Besorgungen des täglichen Lebens ). Bei all dem ist Hannah ein fröhlicher, lebenslustiger, mitfühlender und selbstbewusster Sonnenschein. Für kommenden Sommer ist die Einschulung als Inklusionskind an der örtlichen Grundschule geplant ( mit Schulbegleitung ).
Für einen Stomaverschluß sprechen:
Hannah braucht das T-Stoma seit Jahren eigentlich nicht mehr. Sie hustet kräftig ab, die Atmung ist
auch im Schlaf nahezu unauffällig. Trachea, Bronchien und Lunge sind in sehr gutem Zustand.
Ein Verschluss brächte eine Normalisierung des ( Familien-) Lebens mit sich:
-keine Notfalltasche / kein aufwändiges Zubehör-Management
-kein Pflegedienst mehr nötig ( Privatsphäre! )
-keine zeitliche&nervliche Belastung mehr durchs regelm. Kleben/Erneuern der T-Stoma-Epithese
-Baden / Haarewaschen wäre leichter durchzuführen
-Hannah könnte ins Schwimmbad
-Hannah könnte dann auch von vertrauten Personen ohne intensivmedizinisches Wissen
beaufsichtigt werden ( = normaler Babysitter ) oder sogar auch mal bei der Tante oder guten
Freunden der Familie zum Spielen oder zum Übernachten bleiben.
-das Abhusten wird wahrscheinlich effektiver sein, weil dann keine Luft mehr aus dem Stoma
entweicht und somit den Druckaufbau beim Husten vermindert.
-Hoffnung auf Verbesserung der Sprachdeutlichkeit, weil Hannah dann mehr Luft zum Sprechen
hätte und die zischenden Nebengeräusche wegfielen. Eventuell könnte sich der Verschluss sogar
auf die gestörte Lautbildung positiv auswirken ( das hoffen wir jedenfalls )
-für die Schule: keine Begleitung durch wechselnde Pflegekräfte des PD, sondern Kontinuität durch
eine feste Bezugsperson ( = med. versierte Schulbegleitung )
-bei auftretender neurologischer Verschlechterung der Atemfunktion wäre zumindest nachts eine
Maskenbeatmung möglich bzw. auch eine Wiedereröffnung des T-Stomas bei anhaltenden oder
gravierenden Problemen
Gegen einen Stomaverschluß sprechen:
-Hannah verschluckt sich häufiger als andere Kinder. Ein „barierrefreier“ Zugang zur Lunge könnte
daher bei gravierender Aspiration u.U. lebensrettend sein.
-bei vermehrten Aspirationsereignissen droht die Gefahr einer Lungenentzündung, welche
wiederum durch das Fieber zu einem Krankheitsschub führen kann.
-beim Abhusten muss ein längerer Weg zurückgelegt werden ( statt bis zur Stomaöffnung dann bis
in den Mundraum ).
-die Grunderkrankung hat progredienten Charakter, mit weiteren Verschlechterungen muss daher
leider gerechnet werden. Zeitpunkt, Ort und Ausmaß neuer Schädigungen sind nicht vorhersagbar.
Die Wahrscheinlichkeit, dass erneute Stammhirnsymptome mit gestörtem Schluck- und
Atemvorgang auftreten können, ist daher leider erhöht.
-bei erneuten Stammhirnsymptomen wäre eine Maskenbeatmung wegen der i.d.R. parallel
auftretenden Schluckproblemen wahrscheinlich kontraindiziert
-wir könnten weiter wie bislang über die Behandlungspflege Unterstützung durch unseren Pflegedienst erhalten, müssten die Verantwortung für Hannah also auch in Zukunft nicht alleine tragen.
-Hannah bedarf auch mit verschlossenem T-Stoma engmaschiger Aufsicht wegen ihrer
Mehrfachbehinderung/Sturzgefahr/Dysphagie, unsere Entlastung wäre also nur graduell
-eventuelle Probleme bei der Wiedereröffnung des T-Stomas ( Narbengewebe? )
-eher gering bewerten wir die Risiken bzgl. der eigentlichen Verschluß-OP mit Narkose und
eventuellen Störungen im Wundheilungsprozeß
Das sind bislang unsere zusammengetragenen Gedanken. Vielleicht mag der ein oder andere ein wenig Senf zum Thema spenden, damit wir doch noch bald zu einem Entschluss kommen?! Wir freuen uns auf Eure Rückmeldungen!
In der Endlosschleife des Gedankenkarussells:
Anne & Thomas